Everesting - eine Höhenexpedition der etwas anderen Art

„Such dir einen Berg und fahre ihn so oft rauf, bis 8848 Höhenmeter auf deinem Tacho stehen!“

So einfach es klingt, so brutal schwierig ist diese Herausforderung, der ich mich gestellt habe. Einmal auf den Mount Everest, dem, mit 8848 Meter, höchsten Berg der Welt, und wieder zurück.

Um mir das Vorhaben zumindest aus logistischer Sicht so einfach, wie möglich zu machen, startet meine Strecke direkt vor meiner Haustür rauf zu den Einödhöfen bei Lam. Pro Runde lassen sich damit 234 Höhenmeter auf 5,4 Kilometer sammeln. Um auf 8848 Höhenmeter zu kommen, muss die Runde 37,8 Mal bewältigt und 204 Kilometer zurückgelegt werden.

Ja, natürlich hab ich mir im Vorfeld das ausgerechnet und waren mir die Zahlen bewusst.

Und Ja, natürlich hab ich mir auch sehr oft eingeredet, dass das total bescheuert ist.

Und Ja, eigentlich nutze ich meine Zeit sinnvoller.

Aber trotzdem hab ich mir das in den Kopf gesetzt und…

… durchgezogen.

Aber nun der Reihe nach, meine „Expeditionsnotizen“:

  • 0 Höhenmeter
    4:42 Uhr, ich starte von meinem „Basecamp“ aus in einen laaaangen Tag. Durch das nasskalte Wetter hält sich meine Begeisterung in Grenzen.
  • 1800 Höhenmeter
    8. Runde, ich kann meinen anvisierten 20-Minuten Rundenschnitt gut einhalten, aber großartig fühle ich mich nicht wirklich – mein Magen rebelliert… jetzt schon… na bravo…
  • 2300 Höhenmeter
    Boxenstopp. Noch kurz einen Espresso und weiter geht’s. Die Sonne zeigt sich jetzt auch mal. Und mit der Vorfreude, dass sich ab 9 Uhr Johannes als Begleitung angekündigt hat, läuft es jetzt richtig gut.
  • 3000 Höhenmeter
    Johannes radelt nun an meiner Seite. Kurze Zeit später kommt auch noch Daniel hinzu und komplettiert unseren „Bayerischen Kreisel“. Die Unterhaltung tut gut! Wir haben Spaß und die Runden purzeln gerade zu.
  • 6000 Höhenmeter
    Die skeptischen Blicke der Nachbarn, wandeln sich zu Beifall. „Neuer Rekord!“, schreit mir Ulli zu und lacht. Ich bin jetzt seit gut 9 Stunden unterwegs und doch nicht weg von Zuhause. In jeder Runde treffe ich meine Liebsten. Meine Tochter Lina fährt auch ein paar Meter mit. Immer wieder kommt ein netter Spruch aus der Nachbarschaft. Johannes verabschiedet sich. Er macht satte 3000 Höhenmeter voll und ist zu Recht mächtig stolz darauf. Ich bin froh, dass er so lange mitgeradelt ist. Daniel fährt noch zwei Anstiege mit, bevor er seinen Rückweg nach Bad Kötzting antritt. Und, wie im fliegenden Wechsel, steht auch schon Michi als nächster Begleiter parat – nicht geplant, aber perfekt getimed.
  • 6500 Höhenmeter
    Michi redet und redet… und das tut gut! Mir geht es aber nicht mehr gut. Die Knie stechen mit jeder Kurbel-Umdrehung. Die Beine sind leer. Es fühlt sich an, als ob ich meinen Thule-Kinderanhänger hinter mir her ziehen würde… aber den schiebt meine Frau Katrin samt Sohnemann neben mir her den Berg hoch.
  • 7000 Höhenmeter
    Michi redet immer noch fleißig und bemüht sich die Unterhaltung aufrecht zu halten. Mich verfolgen seit einiger Zeit Bob Marley und seine „Three Little Birds“. Wieder kommen wir an Katrin vorbei, die zusammen mit Marco, Sonja und den Kindern, die Straße hochwandern. Prof. Dr. Marco gibt mir eine Rechenaufgabe mit auf den Weg, 17x23. Für die Lösung brauche ich eine Weile, aber zumindest ist Bob aus meinem Kopf wieder verschwunden.
  • 7700 Höhenmeter
    Das Ding gehört mir. Nur noch 5 Mal. Ich bin zuversichtlich, dass ich es zu Ende fahren werde.
  • 8200 Höhenmeter
    „Todeszone“ – ich bin komplett leer. Mein Körper rebelliert. Beginnt er zu sterben? Auch Michi redet jetzt nicht mehr so viel. Mit seiner Vormittagsrunde kratzt er nun auch schon an der 4000er Marke.
  • 8700 Höhenmeter
    Die letzte Runde. Ein letztes Mal die Rampe, ein letztes Mal die Kurve… Mein Blick ist nur noch auf die Höhenmeterangabe meines Tachos fokussiert. Ich fahre keinen Höhenmeter mehr, als sein muss! Mir fällt zum ersten Mal auf, dass die Höhenmeter-Anzeige in 5 Meter-Schritten springt. Michi versucht mich zu überreden, lieber ein paar Höhenmeter mehr zu fahren, nicht dass ich durch Auto-Korrekturen bei Strava oder Garmin zu wenig Höhenmeter habe.
  • 8850 Höhenmeter
    Gipfel erreicht! Ich bin glücklich, aber sowas von paniert. Michi kann mich nicht überzeugen, noch ein paar „Sicherheits-Meter“ dranzuhängen. Ich fahre keinen Höhenmeter mehr! Shakehand. Gipfel-Selfie. Ein letztes Mal konzentrieren in der Abfahrt, schließlich ist nicht der Gipfel das Ziel, sondern das Basecamp.
    Wir lassen es langsam ausrollen. Die letzten Meter werden wir von Lina über die Ziellinie begleitet und in meiner Hofeinfahrt warten meine Liebsten auf mich.

12,5 Stunden in die Pedale zu treten, war für mich eine völlig neue Erfahrung im Radsport. Ich saß vorher noch nie 200 Kilometer im Sattel, von den Höhenmetern gar nicht zu reden.

Ebenso war es eine neue Erfahrung, so ein Mammut-Projekt, ohne Wettkampf-Charakter, quasi „freiwillig“ ohne Gruppendynamik zu machen. Als „Basecamp“ die eigene Hofeinfahrt zu wählen, hat sicher enorme Vorteile (Verpflegung, Unterhaltung…), macht aber die Entscheidung – Weitermachen oder es gut sein lassen – nach jeder Runde nicht einfacher. Der Kopf, der Wille spielt hier eine enorme Rolle. Eine noch wichtigere Rolle spielen allerdings die Begleiter, ohne die ich das sicher nicht durchgezogen hätte. Allein ist sowas nicht möglich. Vielen Dank an der Stelle an Johannes, Daniel und Michi für´s Begleiten und Unterhalten!!!

Um die ganze Sache nun abschließend aber wieder zu relativieren:

  • Es gibt Leute, die fahren das in 7,5 Stunden
  • Es gibt auch Menschen, die fahren das nur auf dem Hinterrad --> https://www.youtube.com/watch?v=Bnr2e1F1-Ho
  • Andere wiederum laufen die Everesting Challenge
  • Und für ein paar reicht der Everest noch nicht, sie runden gleich 10000 Meter auf

Jeder Mensch spinnt halt auf seine Art und Weise.